Getriebe spielen in der Geschichte der Menschheit eine zentrale Rolle. Einfache Getriebe wurden verwendet, um Feuer zu machen, komplexere waren erforderlich, um Bauwerke wie Stonehenge (ca. 3.500 v.Chr.) oder die sieben Weltwunder der Antike, darunter die noch heute zu bewundernden Pyramiden von Gizeh (ca. 2.500 v.Chr.), zu errichten.
Einfache Getriebe wie der Hebel oder der Flaschenzug sind den Menschen seit Jahrtausenden bekannt und wurden vor allem zum Heben von Lasten (z. B. bei Bauwerken oder dem Be- und Entladen von Schiffen und Fuhrwerken) eingesetzt.
Die ältesten uns bekannten Aufzeichnungen, in denen Getriebe systematisch untersucht wurden, stammen von den Griechen. So wurde, soweit wir wissen, das „Hebelgesetz“ erstmalig von Archimedes von Syrakus (ca. 287-212 v.Chr.) beschrieben. Die Kraftverstärkung eines Hebels begeisterte ihn so, dass er sich sogar zu dem Ausruf hinreißen ließ: „Gebt mir einen festen Punkt im All, und ich werde die Welt aus den Angeln heben.“
Der römische Architekt und Baumeister Marcus Vitruvius Pollio (Vitruv, ca. 75-15 v.Chr.) verfasste mit seinen (heute noch erhaltenen) „Zehn Büchern über Architektur“ das erste Werk über Architektur überhaupt. Band 10 widmete er dem „Maschinenbau“ und beschrieb darin ausführlich die damals bekannten Maschinen und Getriebe. Dazu zählten der Flaschenzug, das Wellrad, das Tretrad, der Trispastos (ein einfacher Kran), griechische Wasseruhren und die Archimedische Schraube (eine „Schnecke“ zur Wasserförderung). Auch in den Werken des Griechen Heron von Alexandria (wahrscheinlich ein Zeitgenosse von Vitruv) findet man „Automaten“ mit Getrieben, z. B. eine windgetriebene Orgel oder die ersten Zahnräder. Die Römer konstruierten auch Kriegsmaschinen (Wurfmaschinen und Schleudern), in denen Getriebe zum Einsatz kamen.
Eine wichtige Rolle spielten Getriebe ein paar Jahrhunderte später bei der Energiegewinnung. Wasserkraft und Windkraft wurden durch Wasser- und Windräder in eine Drehbewegung umgewandelt. Für Mühlen genügte das; für Steinsägen jedoch musste die Dreh- in eine Hin- und Herbewegung der Säge gewandelt werden. Einen ersten Nachweis für die Existenz solcher Schubkurbel-Getriebe liefert die „Zeichnung“ einer Steinsäge mit Wasserrad auf einem Grabstein aus dem 3. Jahrhundert nach Christus.
Eine Blütezeit erlebten Getriebe in der Renaissance, in der man die „alten Schriften“ der Griechen und Römer wiederentdeckte. Vor allem in den Zeichnungen von Leonardo da Vinci (1452-1519) finden sich zahlreiche Getriebe für Baumaschinen, Kriegsmaschinen und erste Fahrzeuge.
Dem Holländer Christiaan Huygens (1629-1695) verdanken wir die erste Pendeluhr, die 1657 entstand. Das Präzisionsgetriebe erreiche eine für die damalige Zeit unglaubliche Gang¬genauigkeit von wenigen Sekunden pro Tag. Nach der Erfindung der Unruh kamen Taschenuhren in Mode. Mit einer solchen Präzisions-Taschenuhr, die auf einer mehrmonatigen Seefahrt nur vier Sekunden falsch ging, löste John Harrison (1693-1776) im Jahr 1759 das „Längengradproblem“ – die präzise Bestimmung des Längengrads auf hoher See.
Mit der Entwicklung von motorisierten „Automobilen“ bekamen Getriebe im 19. und 20. Jahrhundert eine weitere wichtige Bedeutung. Sie mussten die Antriebskraft des Motors mit einem möglichst hohen Wirkungsgrad auf die Räder übertragen. Dafür benötigten sie Schalt- und Differenzialgetriebe.
Bei Zahnradgetrieben erfolgt die Bewegungsübertragung über Zahnräder. Man sagt, die Zahnräder „kämmen“ ineinander, wenn die Zähne zweier Zahnräder ineinander greifen. Die fischertechnik-Zahnräder werden über die Anzahl ihrer Zähne bezeichnet: So ist ein Z20 ein Zahnrad mit 20 Zähnen.
Zahnradgetriebe ermöglichen eine einfache Berechnung der Übersetzung, also der Änderung der Bewegungsgeschwindigkeit: Das Verhältnis der Umdrehungsgeschwindigkeiten zweier Achsen eines Getriebes entspricht dem Kehrwert des Verhältnisses der Zähne der ineinander kämmenden Zahnräder auf diesen Achsen. Beispiel: Sitzt auf der Antriebsachse ein Z10 und auf der Abtriebsachse ein Z30, dann dreht sich die Antriebsachse dreimal so schnell (30:10 = 3:1) wie die Abtriebsachse – man muss die Kurbel an der Antriebsachse dreimal drehen, damit sich die Abtriebsachse einmal um sich selbst dreht.
Bei Zahnradgetrieben reiben die Kanten der Zähne gegeneinander. Durch diese Reibung entsteht ein Kraftverlust von rund 10%. Die Reibung lässt sich verringern, indem man das „Spiel“ (den Abstand) zwischen den Zähnen vergrößert. Dadurch wird die Übertragung aber ungenau: Man kann eine der Achsen ein Stückchen bewegen, ohne dass sich die andere Achse bewegt.
Durch speziell geformte Zahnräder versucht man, diesen Nachteil in der Praxis zu verringern. Eingesetzt werden Zahnradgetriebe vor allem in Motorgetrieben.
Anstatt die Zähne der Zahnräder direkt ineinander greifen zu lassen, kann man sie durch eine Kette verbinden – ihr kennt dieses Getriebe vom Fahrrad. Dabei wird die Bewegungsrichtung nicht geändert, Antriebs- und Abtriebsachse (beim Fahrrad die Tretachse und die Hinterachse) drehen sich in derselben Richtung.
Die Übersetzung kann hier wie beim Zahnradgetriebe aus dem Verhältnis der Zähne der Zahnräder zueinander bestimmt werden. Dadurch, dass die Zähne in die Kettenglieder greifen, ist der Kraftverlust durch Reibung deutlich niedriger als bei einem Zahnradgetriebe.
Auch ein Schubkurbel-Getriebe wandelt eine Drehbewegung in eine horizontale Bewegung um. Allerdings kontinuierlich, in eine Hin- und Herbewegung. Sie ist also nicht begrenzt.
Dafür ist die Übertragung, anders als bei den Getrieben, die wir bereits kennengelernt haben, nicht gleichmäßig: während der Umdrehung der Kurbel ändert sich die Geschwindigkeit am Abtrieb. Zwar ist das Getriebe nicht selbstsperrend wie das Schneckengetriebe, aber wenn die Hin- und Herbewegung als Antrieb gewählt wird, hat das Getriebe jeweils am Ende der Hin- und Herbewegung einen „Totpunkt“: Wenn es exakt dort stehenbleibt, klemmt die Bewegung und kann nicht mehr fortgesetzt werden.
Schubkurbelgetriebe mit der Hin- und Herbewegung als Antrieb spielten bei Dampfmaschinen eine zentrale Rolle und kommen noch heute bei Motoren zum Einsatz: Sie wandeln die Auf- und Abbewegung des Kolbens in eine Drehbewegung. Damit der Totpunkt überwunden wird, werden mehrere Antriebskolben verwendet, die leicht zueinander versetzt arbeiten.
Erinnert euch an die Wippe: Bei doppelter Kraft (= doppeltes Gewicht) auf der einen Seite genügt die Hälfte des Kraftarms, um dieselbe Last auf der anderen Seite anzuheben. Im Gleichgewicht sind beide Drehmomente gleich und heben sich auf.
Bei einer Wippe ist die wirkende Kraft auf beiden Seiten dieselbe – die Schwerkraft (oder Erdanziehungskraft). Doch das Hebelgesetz gilt für jede Kraft. Damit lässt sich auch die Kraftübertragung bei einem Zahnradgetriebe erklären: Wird das schwarze Zahnrad in der Abbildung angetrieben, so wirkt eine nach unten (oder, bei umgekehrter Drehrichtung, nach oben) gerichtete Kraft auf die Zähne des roten Zahnrads. Je größer das rote Zahnrad, desto länger der Hebelarm (bezogen auf die Achse des roten Zahnrads) – und desto geringer die zum Antrieb des Zahnrads benötigte Kraft. Dafür muss das schwarze Zahnrad häufiger gedreht werden – und zwar im Verhältnis der Hebellängen, also der Radien r der Zahnräder zueinander. Dieses Verhältnis ist wiederum identisch dem Verhältnis der Zahnradumfänge zueinander (denn für den Umfang U gilt: U = 2 r π).
Man kann leicht nachrechnen, dass das Verhältnis der Umdrehungsgeschwindigkeiten der beiden Zahnradachsen (Antrieb zu Abtrieb) also umgekehrt proportional zur jeweils wirkenden Kraft ist. In unserem Beispiel dreht sich die Achse des schwarzen Zahnrads (10 Zähne) dreimal so schnell wie die des roten Zahnrads (30 Zähne) – dafür wirkt, wenn wir Reibungsverluste vernachlässigen, auf die Achse des roten Zahnrads die dreifache Kraft. Mit einem solchen Zahnradgetriebe können wir also die auf eine Achse wirkende Kraft gezielt verstärken.
Dasselbe gilt für Riemen- und Zahnradgetriebe: Der Kehrwert des Verhältnisses der Radien des antreibenden zum abtreibenden Rad beschreibt die Verlangsamung der Achsumdrehung und zugleich Kraftverstärkung.
Schon ein einfacher Flaschenzug mit lediglich einer Schlinge verdoppelt die Länge des für den Hub einzuziehenden Zugseils und halbiert damit die dafür benötigte Kraft. Ein Mensch, der maximal 50 kg anheben kann, kann mit einem solchen Flaschenzug mit derselben Zugkraft bis zu 100 kg Last heben. Die Kraftverstärkung lässt sich mit weiteren Seilschlingen vergrößern: Die für die Hubarbeit benötigte Zugkraft FZ sinkt bei n Seilwegen (= Seilrollen) auf ein n-tel der Gewichtskraft FL der Last.
FZ = FL / n
Flaschenzüge haben zudem einen positiven Nebeneffekt: Sie stabilisieren das Zugseil, indem sie Verdrillungen des Seils erschweren: Ein Objekt lässt sich damit sehr gerade nach oben ziehen. Je mehr Seilschlingen, desto widerstandsfähiger ist der Flaschenzug gegen Torsion.
Schließlich wird das Zugseil entlastet, da auf jeden einzelnen Seilstrang nur ein Bruchteil der Gewichtskraft des zu hebenden Gegenstands wirkt. So kann man mit einem Flaschenzug auch sehr schwere Gegenstände mit einem relativ dünnen Seil anheben.
• Sigvard Strandh: Die Maschine. Geschichte, Elemente, Funktion. Ein enzyklopädisches Sachbuch. Weltbild Verlag, 1992.
• Brian Bolt: Was hat der Bagger mit Mathematik zu tun? Klett Verlag, 1995.
Thomas Püttmann: Zahnräder und Übersetzungen (Teil 1). ft:pedia 2/2011, S. 30-37.
Thomas Püttmann: Zahnräder und Übersetzungen (Teil 2). ft:pedia 3/2011, S. 25-28.
Thomas Püttmann: Zahnräder und Übersetzungen (Teil 3). ft:pedia 1/2012, S. 13-21.
Dirk Fox: Der Flaschenzug. ft:pedia 2/2014, S. 4-10.
Thomas Püttmann: Das Differentialgetriebe. ft:pedia 4/2014, S. 20-24.
Dirk Fox, Thomas Püttmann: Technikgeschichte mit fischertechnik. dpunkt-Verlag, 2015.
Dirk Fox: Geradführungen. ft:pedia 1/2016, S. 24-30.
Thomas Püttmann: Planetengetriebe. ft:pedia 2/2016, S. 38-43.
Dirk Fox: Synchronuhr mit Schrittschaltwerk. ft:pedia 1/2017, S. 48-53.
Martin Wanke: Automatische Differentialsperre. ft:pedia 1/2018, S. 47-52.
Stefan Falk: Harmonic Drives von Z10 bis Z40. ft:pedia 2/2020, S. 47-60.
ft:pedia: Artikelübersicht (dort nach „Getriebe“ suchen). Verschiedene Autoren (die ft:pedia ist eine vierteljährlich erscheinende PDF-Zeitschrift von und für fischertechnik-Fans).
Videos:
Download: Bauanleitung Class Set Gears
Download: Bauanleitung STEM Gear Tech